Mundartdichtung zwischen Nostalgie und Zukunft
Geschrieben: 12. März 2012 | Autor: oliverg | Kategorisiert unter: Allgemein | Keine Kommentare »24. Mund-Art Literatur-Werkstatt vom 16. bis 18. März 2012
Die 24. Internationale Schopfheimer Mund-Art Literatur-Werkstatt wird in diesem Jahr
vom16. bis 18. März stattfinden. Auftakt ist am Freitag um 20 Uhr mit der öffentlichen
Lesung im Weiler Stapflehus. Am Samstag werden die sechs Autorinnen und Autoren
mit dem Moderator an ihren Texten in der Stadtbibliothek Schopfheim arbeiten und
dabei der Frage nachgehen, wo sich ihr gegenwärtiges Schreiben im Spannungsfeld
zwischen Nostalgie und Zukunft verorten lässt.Besteht, da das Schreiben im Dialekt
oft Erinnerungsliteratur ist, nicht die Gefahr der Verklärung und damit unwillkürlich die
Schaffung einer Distanz zur heutigen Wirklichkeit und zu den Problem der Zukunft?
Abends um 20 Uhr findet die traditionelle Lesung statt, diesmal in St. Agathe, Schopfheim-
Fahrnau. Nach weiterer Werkstattarbeit endet das Treffen am Sonntag mit dem Empfang
beim Bürgermeister im Ratssaal der Stadt. Zudem werden drei Autorenbesuche im
Unterricht an Schulen der Umgebung durchgeführt, nämlich in der Zelgschule Wehr, im
Schulzentrum Steinen und am Theodor-Heuss-Gymnasium Schopfheim..
Die Teilnehmer:
Alfred Gulden, 1944 in Saarlouis geboren, lebt heute wechselweise im Saarland und in
München. Sein literarisches Werk kennzeichnen erregende Sprachexperimente auf der Basis
einer forciert rhetorischen Prosa, z.B. die Romane 1982: „Greyhound“ und 1991: „Ohnehaus“.
In seiner Person vereinigen sich eigentlich zwei Autoren: einer, der auszog nach München,
New York, Bordeaux oder auf die Seychellen und sich als Theaterrevolutionär, Erzähler oder
Filmregisseur ästhetisch verwirklichte, und ein anderer, der den heimatlichen Winkel neu entdeckte
und als Chance zur literarischen Kreativität begriff. Dutzende einfühlsamer Fernseh-Filme mit
saarländisch-lothringischen Themen zeugen davon, desgleichen etwa „Die Leidinger Hochzeit“
(1984), ein Roman, der als regionale Kuriosität ein Dorf behandelt, dessen Straßenmitte Grenze ist
.
Sein innovativer Beitrag zur Saarliteratur besteht im poetischen Rückgriff auf den
Saarlouis-Rodener, d.h. moselfränkischen Dialekt. Mit Guldens Namen verbindet sich
eine Reform hin zur sozialkritischen Mundartdichtung (z.B. 1975:„Lou mòòl lòò, lòò laida“ ,
1981: „et es neme, wiit freja wòòa“ u.a.). In Essays , vor allem aber mit faszinierenden
Gedichten und Liedern (2000 zusammen gefasst in: „Onna de langk Bääm“) wurde er zum
Nestor einer literarischen Bewegung und schrieb z.B. mit dem Gedicht „De Grenz/ Die
Grenze/La frontière“ einen Dialekt-Klassiker. 2009 erschienen alle Dialektgedichte aus
über dreißig Jahren in dem Band „Hennam Baandamm“.
DA BONKGA
Zougeschutt un
Grass driwwa waassen lòsen.
Onnam Grass, onnam Schutt
da Bonkga es dòò.
En de Gäng hamma Vaschdòppches
geschbillt, aus de Lukgen gelout,
of da Kupbel geschdann.
Zougeschutt un
Grass driwwa waassen lòsen bis
zum nääkschden Krejch?
DER BUNKER, Zugeschüttet und Gras drüber wachsen lassen. Unterm Gras, unterm Schutt, der
Bunker ist da. In den Gängen haben wir Verstecken gespielt, aus den Luken geschaut, auf der
Kuppel gestanden. Zugeschüttet und Gras drüber wachsen lassen bis zum nächsten Krieg?
Markus Heiniger hat am 18.08.1968 in Basel das Licht der Welt erblickt. Berndeutsch
mit der Muttermilch, Baseldeutsch im Sandkasten. Markus Heiniger hält seine
beiden Schweizer Dialekte fein säuberlich auseinander. Und seine dritte Sprache ist
Hochdeutsch; da gibt es keine Berührungsängste, nur Lyrik, Humor und überraschende
Brückenschläge. Der heimatberechtigte Emmentaler erblickt 1968 in Basel das Licht der
Welt und wächst im Baselbieterisch-Elsässischen Leimental als jüngster Spross einer
musikalischen Familie auf. Seine Schwester Franziska konzertiert auf der Blockflöte, sein
Onkel Bernhard auf der Kirchenorgel. Für Markus selber kommt als Kind nur das Klavier
in Frage. Warum? Weil man daran sitzen kann. Seine erste Vortragsübung am Klavier
brach er als Neunjähriger wegen eines sich zweimal an derselben Stelle eintretenden
Blackouts ab, stand mitten im Stück auf und ging nach Hause. Das ließ er dann aber doch
nicht auf sich sitzen. Es muss ihn irgendwie angestachelt haben, denn heute ist er ein
gesuchter Klavierbegleiter, tritt aber auch selber mit großer Kleinkunst im Dialekt und in
der Hochsprache auf. Seine jüngst erschienene CD heißt, „Es knarrt“.
dr Atlas
Es sait dr Atlas, dr Titan
jetzt mach ych moll e Pause
stegg d Händ in myni Hosesegg
und loss dr Ärdball sause
denn zieh my feriehalber zrugg
in myni stilli Klause
und gniess dr Wältenuntergang
bi Brätzeli und Brause
zerscht knarrts nuur lyyslig im Gebälgg
denn schmeggts uffzmoll noch Gwitter
ych lad no e paar Fründen y
uf Facebook und uf Twitter
denn gits e Knall, s wiird dunggel
und es haglet Drägg und Pflutter
ych byss ins Anggebrätzeli
und alles isch in Butter
Manfred Kern, 1956 in Rothenburg ob der Tauber geboren und aufgewachsen auf einem
Bauernhof in Wettringen (Landkreis Ansbach), schreibt Lyrik und Prosa in Hochdeutsch
und fränkisch-hohenloher Mundart. Nach einer Ausbildung zum Buchhändler in Würzburg
lebt er seit 1985 als freier Schriftsteller in Coburg. Mit zahlreichen Veröffentlichungen,
darunter: „ Di woahre Gschichd vo meim zweide Leewe odder wi i oahne gresseri
Umschdend zum Goedhe seim goldene Kodzaamerle kumme bin“, mit CD, die eine
Kurzfassung mit alternativem Schluss enthält, und „Heimatdmuseum, e Bosseschbiel in
achd Schdadsione/Ein Possenspiel in acht Stationen, fränggisch und schriftdeutsch“, hat
er sich einen Namen, weit über die Region hinaus, gemacht.
AS LIADLE VOM ARME BAUER
Ess borzle di Breise
Ess verregge di Sai
Derr Bauer haud si selwer
Di Schbridze nei
Alles is hii
Alles is hii
Greabd uffm Miischd
Derr Giggerigii
Wenn aa alles
Vergedd
Wenn aa alles
Vergedd
Mei Schweinebarg
Der schdedd
Ja der schdedd
Biebsd derr Bauer
Und rennd ausm Haus
Di Schbridze woar dreggi
Edz iser e Maus…
Angéla Korb wurde 1982 in Pécs/Fünfkirchen (Schwäbische Türkei/Ungarn) geboren,
aufgewachsen ist sie in einem kleinen Dorf (Hetvehely/Hetfehell) in der Nähe von
Pécs. Nach dem Abitur immatrikulierte sie sich an der Philologischen Fakultät der
Universität Fünfkirchen für Germanistik und Geschichte und beschloss ihr Studium mit
der Diplomarbeit „Magyarisierungstendenzen in Fünfkirchen im letzten Drittel des 19.
Jahrhunderts im Spiegel der Fünfkirchner Zeitung“. Während des Studiums entstanden
ihre ersten Gedichte. Ihr Mentor, der sie auf dem Weg der Textproduktion begleitete, ist
Dr. Horst Lambrecht, ein deutscher Literaturprofessor, der sie anspornte weiterzumachen
und sie auch 2004 zu einem Seminar des Verbandes ungarndeutscher Autoren und
Künstler (VUdAK) schickte, wo sie seitdem Mitglied ist. Von September 2005 bis Februar
2007 unterrichtete sie Geschichte und Deutsch als Fremdsprache am Klára-Leōwey-
Gymnasium. Seit Juli 2007 arbeitet sie in der Redaktion der Neuen Zeitung in Budapest
mit, und ist Doktorandin der Doktorschule der Eötvös-Loránd-Universität Budapest. 2011
wurde sie mit dem Förderpreis des Donauschwäbischen Kulturpreises des Landes Baden-
Württemberg ausgezeichnet.
Sterwöslust
Ich war akhumme im Spital. Vun tr Straaß ane hun ich ne k’wißt was ich soll sa. Ich hun
mai Kroßmottör schon e Weil ne k’seie wel ich im Ausland war. Sie war schon im finft
Spital seit se so schlecht war. Ich war in tr Stuwe. Ihre Pett war jetz sauwör, ganz weiß,
wie ös Pettsach tart iwöraal is. Sie is aarich z’sammkhange, ös had so ausk’schaud wie
wann se schlaawe ted. Ich hun pal messe flenne, wie ich se akschaud hun, ich hun se
pal ne gekennd. Sie war nimmi mai liewi Kroßmottör, ihre Ksicht hun ich pal ne k’funne
zwische tr Haud un’ Knoche. Sie war nog immör schee tick, awör jetz war se abgemagört
un uni Lewöslust. Ich hun ihre Hand agepackt awör tes war nimmi ti Hand wu mör als so
kern Pohnenudl gekocht had. Ti Hand khenn ich ne. Unör tr Tecke had mör khenne seie,
tas ihre a Fuß fehld. Alsemal hat se ne k’wisst tas ihre an Fuß is abk’schniede ware un
had k’sad sie khed uf Mariut zu Fuß zu tr Prozessio…
Jean-Christoph Meyer, geboren 1978, ist in Blienschwiller (Unterelsass) aufgewachsen,
am Fuße des Winzenbergs, wo seine Eltern Winzer sind. Er arbeitet als Journalist bei
der Tageszeitung L’Alsace und wohnt in Saint-Louis, neben Basel. Im Jahre 2004 hat er
einen ersten Gedichtband, “Sagittales“, veröffentlicht. 2008 hat er die Gedichte seines
Großvaters, Paul-Georges Koch, ins Französische übersetzt und als zweisprachige
Anthologie, „Im Kreuzfeuer zweier Kulturen“, heraus gegeben. 2011 folgte ein zweiter
Band, „Garde ton souffle pour le chant de la gratitude“, er wurde in Québec veröffentlicht.
Unter Leitung von Jean-Christophe Meyer wurde gerade erst in St. Louis eine trinationale
Anthologie aus dem Dreyland herausgegeben: „Rheinkiesel/Galets du Rhin“. Er schreibt
auf Französisch und im Dialekt und ist ein engagierter Verfechter von „Elsässisch für di
Junge“.
Chanson pour un petit totem
Bluetrot pùrper rot d’Holdertriwelsaft
Wù mìt de Zorngewìtter ìm Sùmmer zitje.
À dam Mìttwùch jedi Aschespür vù de
Hiffle ì eire Hand e Karnel wù s Wort
Kimme kännt üss de Kìndhëit.
Roschtig àckerbrünn di dìrre Gekrìtzel ùf’m
Süffer rëne Linntuech muséerëif- ùn mìrb
Wìe àlti Äpfle – war wìll se käufe
Noch ìm große Gschaft?
Nìeme – gàr dü nìtt stùmmi Voejjelschèi
Verfüllte Sträumànn wù d’Väjel üsslàche
Ùn de lislig Bolslegsàng heert ùnte à de Rënmàtt
D’Hüsstìr vù wellem Hëm dìchterhëm
Wù de Wìnd verböjjt- ùn blìehjt…
Markus Manfred Jung, Studiendirektor am Gymnasium in Schopfheim, begründete
zusammen mit dem 2000 verstorbenen Dichter Thomas Burth die Schopfheimer Mund-
Art Literatur-Werkstatt und leitet sie. Vor allem mit seiner Lyrik ist er über die Grenzen des
alemannischen Raums hinaus bekannt. Unter anderem wurde er 1998 beim Wettbewerb
zum Lyrikpreis von Meran ausgezeichnet. Mit dem Komponisten und Musiker Uli Führe
erhielt er 2007 für die auf der CD „IKARUS“ vertonten Gedichte den „Jahrespreis der
deutschen Schallplattenkritik“. Zuletzt erschienen, von Bettina Bohn illustriert, „verfranslet
diini flügel“, sein sechster Mundart-Gedichtband, und „splitter spiegel sprooch“, drei CDs
mit allen bisher veröffentlichten Gedichten, eingesprochen vom Autor und musikalisch
begleitet von Uli Führe.
z oobe
des gschupfti liecht
des grad no liecht
des grad no so
übre berg gschlupfti liecht
des gschnupfti liecht
für s farbeschpil im herz
Moderator und Leiter der Literaturgespräche in der Werkstatt ist nun schon zum
achten Mal Volker Habermaier, Studiendirektor am Schopfheimer Theodor-Heuss-
Gymnasium. Der aus dem Schwabenland stammende Germanist und Historiker
publiziert wissenschaftliche Aufsätze zu literarischen, historischen und musikalischen
Themen. Zudem ist er Schulbuchautor und Verfasser fachdidaktischer Arbeiten, auch zur
Mundartliteratur. Er lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Schopfheim-Kürnberg.