Blick in die Schublade: entsichert und entschärft – Markus Manfred Jung liest in Stetten.
Geschrieben: 25. Mai 2013 | Autor: oliverg | Kategorisiert unter: Allgemein | Keine Kommentare »[Mit frdl. Genehmigung der Badischen Zeitung / der Autorin.]
07. Mai 2013
LÖRRACH. Erinnerungen an den Lörracher Stadtteil Stetten der 60er- und 70er- Jahre wurden wach bei der Lesung von Markus Manfred Jung im Gemeindesaal St. Fridolin am Freitagabend. Die Lesung, die von Gitarrenschülern der Musikschule Lörrach und einer Flötistin musikalisch umrahmt wurde, gehörte zu der Veranstaltungsreihe „1250 Johr Stette“.
Der 1953 in Zell geborene und in Stetten aufgewachsene Mundart-Autor Markus Manfred Jung las vollständig auf Alemannisch zahlreiche kurze Geschichten, die von Kindheits- und Jugenderlebnissen handelten. Da waren noch die Zöllner, an denen man mit dem Fahrrad vorbei musste, wenn die Mutter den billigeren Kaffee in der Schweiz kaufte. An den Zöllnern musste man auch vorbei, wenn man mit den Freunden einen nächtlichen Ausflug zu Fuß nach Inzlingen machte.
Jung erinnert sich, dass nach der Ermordung von Hanns Martin Schleyer die Grenzkontrollen verschärft wurden. Er erlebte, dass die Zöllner im Dunkeln „Halt stehen bleiben“ riefen und kurz darauf ein Gewehr entsicherten. Ein furchtbarer Schreck für die jungen Leute. Als sie im Dialekt Antwort gaben, war für die Zöllner klar, dass es sich um Stettener handelte, was die Situation sofort entschärfte.
Jung erinnert sich, wie er früher mit den Freunden Forellen in der Wiese fing, er erinnert sich an die stillgelegte Ziegelfabrik, wo er mit seinen Freunden einen Dachstuhl in Brand setzte und in der Lehmgrube ein Giftmüllfass der Basler Chemieindustrie zum Auslaufen brachte.
Jungs Texte sind wie kleine Schlaglichter im Dunkel der Vergangenheit, sie sind anekdotisch, haben meist eine Pointe. Wenn in ihm Erinnerungen wach werden, sei es, als öffne sich eine Schublade, sagt der Autor. Jung erinnert sich an kleine Details wie an die „Wybertli“ und „Rompeguzzeli“ genannten Hustenpastillen, die früher noch in Lörrach hergestellt wurden, an das Grüßen mit dem alemannischen „Solli“, das im Elsass „Salut“ und in der Schweiz „Salli“ klingt. Nostalgie schwingt mit, wenn er sagt, dass früher die Kinder noch draußen spielten, während sie heute ja nur noch vor dem „Glotzkasten“ sitzen, dass die Kinder heute zu dick seien, sie
früher aber gar keine Gewichtsprobleme kannten. Heute würde alles zugebaut, die wenigen Spielplätze würden immer noch weniger.
Dass bis auf die Grenzkontrollen früher vieles besser war, man könnte es meinen, wenn man dem Autor zuhört.
Außer den vorwiegend humoristischen kurzen Prosatexten liest Jung vier frühe, ernstere Gedichte, in denen sein Heimatort Stetten vorkommt.
Abgerundet wird die Lesung durch den gelungenen Vortrag von sechs Gitarrenschülern (zwei Trios) und einer jungen Gastflötistin.
Gespielt werden rund zehn, teils extra für Gitarre arrangierte Stücke von unterschiedlichen Komponisten, darunter eine Fuge von Händel, ein Allegro von Mozart, Melodien von Bizet und Offenbach sowie spanische traditionelle Stücke. Ein sehr schönes kleines Programm, mit Sorgfalt einstudiert und mit Konzentration vorgetragen. Der weiche, unaufdringliche Klang von Gitarren und Querflöte ist ein echter Hörgenuss.
Autorin: Antje Gessner